Ernst Föhlich > Zurück aus Hamburg (1)

Zurück aus Hamburg (1)



Wieder in Berlin. Ich bin froh, keine Entscheidung treffen zu müssen, in welcher Stadt sich ein Mensch wohler zu fühlen hat. Nach acht Jahren in Hamburg hätte ich geschworen, dass auf Dauer nur dort ein Mensch glücklich sein kann, wie übrigens zwei Drittel aller Hamburger. Nach sechs Jahren in Berlin hat sich das relativiert. Die letzten zehn Tage in der Hansestadt machten deutlich, dass Orte nur durch Menschen und Ereignisse Bedeutung gewinnen bzw. durch Erinnerung, die in ihrer zunehmenden Verklärung die Komponenten wie Geruch, Geschmack und Gefühl den alten Bildern letztgültig beifügt und ihnen somit zu ihrer subjektiven Wahrhaftigkeit verhilft. Die Straßen, Häuser und einzelnen Plätze sind nur in Verbindung mit den Regungen des Herzens verbunden bedeutsam. Die letzten zehn Tage waren wunderschön und Hamburg war wunderschön, trotz üblichem Mangel an Sonnenschein. Doch es lag nicht an den traditionellen Gemäuern und mir altbekannten Bäumen an sich. Vergangene Geschichte lebte neu auf. Und obwohl sie abgeschlossen ist, knüpfte sie neu ans Leben an und nur die Menschen, die nicht mehr hier sind und mancherorts unübersehbaren baulichen Veränderungen machten deutlich, dass das Heute nicht an das Gestern, sondern an ein Damals anknüpft. Ohne diese fehlenden und neuen Zeugen wäre das Damals zum Gestern geworden. Freunde, die mich begrüßten und in ihren Unterhaltungen mit mir sofort alte Vertrautheiten schafften. Kneipen, die sich ihr Flair und selbst das Personal erhalten hatten. Nostalgie mit Aktualitätscharakter. Nur die Kinder, die damals oder seit dem geborenen wurden, waren durch ihr rasches Wachstum Zeugnisse für die Spanne der dazwischen liegenden Zeit; neben den Zeichen der Gewichtsveränderung oder zunehmend gewordener Sichtbarkeit der Kopfhaut bei einigen. Das Leben bewegt sich und doch rast es nicht so, dass alles liebgewordene dem Abschied preisgegeben ist- noch nicht. Ich lebe gern in Berlin, meiner Stadt des Alltags. Ich fahre gern nach Hamburg, meiner Stadt der Verklärung. Solange ich dort Menschen habe, die meine alte Geschichte mit neuen Farbnuancen schmücken, ohne das Bild zu verfremden, darf ich sagen, ich bin in zwei Städten zuhause.

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